Montag 9. Sept. 2019, ca. 22 km
Die letzte Etappe dieser Pilgerreise beginnt. In der Gîte gibt es ein reichhaltiges Frühstück, das zum Geniessen und Verweilen einlädt. Mako, der japanische Pilger, bricht bald auf. Ich lasse es ruhig angehen. Der erste Weg führt auf eine Anhöhe von 260 m über Meer. Eine Höhe, die für diesen Weg schon hoch ist.
Bald eröffnet sich wieder Mal ein altes Bahntrassee als Wanderweg. 3 km geht es da entlang. Unterwegs spricht mich ein Anwohner an und schlägt mir vor, weiter vorne nicht dem Wanderweg über den Hügel zu folgen, sondern dem Trassee entlang zu bleiben. Es folge dann ein alter Bahntunnel durch den Hügel hindurch. Die Vorstellung vom dunklen Tunnel reizt mich. Ich stelle mir eine lange dunkle Röhre vor. Sicherheitshalber halte ich meine Solartaschenlampe ab jetzt an die Sonne.
Der Tunnel beginnt. Es wird schön dunkel. Die Taschenlampe leuchtet nur schwach. So nehme ich das Natel zur Hand, das mit seinem LED-Strahl alles erhellt. Es ist einfach zu gehen. ich habe es mir schwieriger vorgestellt. Und kaum ist es ganz dunkel, ist in der Ferne schon ein leiser Schimmer von Licht zu sehen. Schade, denke ich, dass es nicht länger ist. Wie öfter ist auch diese Variante wohl nicht die beste Idee. Kürzer ist ja nicht unbedingt schöner. Aber es war trotzdem ein lustiges Unterfangen, einen Tunnel alleine zu durchqueren.
Bald nähert sich der Weg Aniane. Dort ist eine alte Klosterkirche zu sehen. Weiter geht es inRichtung Tal d’Hérault. Eine uralte Brücke mit dem Namen ‚Teufelsbrücke‘ ist dort die Attraktion. Unten im Fluss ist Badebetrieb. Auf der Brücke wird fleissig fotografiert. Der Weg möchte direkt ins Tal einbiegen. Mich interessiert aber noch das anliegende Dorf Saint-Jean-de-Fos. Mein Urteil, dass die Gründer der GR-Wege soetwas wie Stadthasser sind, bekommt auch hier einen Grund mehr. Es ist ein wunderbares Städtchen mit alten gewundenen Gassen. Und – es gibt hier Gartenrestaurants, die zum Bleiben und Trinken einladen. Beim Zurückgehen aus dem Dorf unterhalte ich mich mit einer aufgestellten jungen Frau. Sie malt auf dem Trottoir ein altes Büchergestell neu. Nur ein paar Worte gehen hin und her. Ihr frohes Gemüt und Lachen tut richtig gut und bleibt mir noch einige Zeit auf dem weiteren Weg haften.
Der Weg ins Tal führt grossenteils auf der von Auto befahrenen Strasse weiter. In den Kurven wird es manchmal eng mit Gegenverkehr. Erst nach einiger Zeit wird der Fussweg separat geführt. Er ist in der Schlucht wie aufgehängt angelegt. in der Tiefe immer wieder der rauschende Fluss mit seinen herrlichen Farben. Menschen, die auf den Felsplatten sich sonnen oder Kunststücke über dem Wasser ausprobieren.
Und dann taucht der Ort auf: St-Guilhelm-le-Désert. Es ist mein Ziel. Vor vielen Jahren war ich auf einer Ferienreise hier vorbei gekommen. Mir blieb nur die Klosteranlage im Gedächtnis. Dass es da so viele Geschäfte und eine lange Gasse gibt, war mir neu. Eine herrliche Anlage in einer herrlichen Landschaft umgeben von eindrücklichen Felsformationen.
ich suche die Pilgerherberge und finde sie nach etwas hin-und her gehen in der Gasse mit dem Namen ‚Le bout du monde‘ – das Ende der Welt. Eine junge Frau, sie sagt später, dass sie aus Madagaskar stammt, empfängt mich. Ich sei heute der erste Pilger. Das erstaunt mich, da ich wusste, dass auch Mako hierher kommen wollte und sogar reserviert hatte. So richte ich mich ein und bekomme eine schöne Ecke im Schlafraum. Später setze ich mich zur Empfangsfrau und frage, ob Mako schon da sei. Nein – er ist noch nicht da. Kaum gefragt, sehe ich ihn durch die Türe der Gasse entlang gehen. Ich rufe ihm zu und er findet den etwas unscheinbaren Eingang zur Herberge. Noch weitere Pilgerinnen und Pilger kommen an. Alle haben genug Platz.
Ich besuche das Chorgebet in der Kirche. Meine Andacht wird etwas dadurch gestört, dass eine der Nonnen mit penetranter Stimme jeweils die zweite Stimme der Lieder singt. Die anderen Nonnen und Mönche mit eher feinen Stimmen gehen daneben fast unter. Zugleich gähnt sie fortlaufend. Ich wundere mich und denke, dass es wohl nicht immer einfach ist, in einer solchen Gemeinschaft zu leben.
Das Nachtessen nehme ich zusammen mit Mako ein. Wir finden heraus, dass wir nur 2 Monate auseinander alt sind. Ich erzähle ihm vom Schweizer Jakobsweg. Er wusste nichts davon und möchte unbedingt den ‚Swiss Camino‘ kennenlernen. So bin ich gespannt, ob er eines Tages in St.Gallen auftaucht.