Sonntag 8. Sept. 2019, ca. 21 km
Heute ist der Festtag Mariä Geburt. Er erinnert an unsere eigene Geburt, den Start auf den Lebensweg und daran, was dieser Weg brachte und was er wohl noch zeigen wird.
Der japanische Pilger Mako ist bereits aufgebrochen als ich erwache und mich für den Start in den Tag bereit mache. Die Hospitalera hatte mir am Vorabend eingebleut, ja nicht zu vergessen, den Schlüssel abzugeben. Daran denke ich. Aber ich vergesse die Kasse, wohinein man das Donativo legen kann. Donativo ist das Prinzip der freiwilligen Bezahlung für die Unterkunft. Diese Art ist in Spanien verbreitet. Unterwegs wird es mir in den Sinn kommen und auch eine Lösung, da ich beim Heimfahren wieder in Montpellier sein werde.
Ich geniesse einen Kaffee an dem grossen Platz de Comédie. Es ist ganz ruhig in der Stadt. Ein paar Leute führen ihr Hündchen aus. Es beginnt dann ein langer Weg aus der Stadt heraus in Richtung Grabels. Das Wasserschloss ‚Château-d’eau‘ spiegelt im davorliegenden Teich. Es schliesst sich ein riesiges Aquädukt an, das nach der Vorlage von Pont du Gard erbaut wurde. Bis Grabels fahren auch die Trams der Stadt. Der Pilgerführer empfiehlt, diese Strecke zu fahren. Warum das gut sein soll, weiss ich nicht. Ich finde es spannend, die ganze Stadt von Ost nach West zu Fuss zu durchqueren und die verschiedenen Quartiere zu betreten.
In Grabels ist eine Bäckerei geöffnet. Viele Leute stehen an und holen ihr Baguette ab. Ich freue mich an einem fein duftenden Pain au raison. Es wird meine Tagesration bis zum Abend bleiben. Der Weg führt hinaus in die Garrigue, einer Strauchlandschaft. Leider plagen mich Schmerzen am Rücken, die wohl von den Rippen her stammen, die vor 20 Jahren bei einer Lungenoperation traktiert wurden. Pause machen wird wichtig. Ich erfahre, wie ein Schmerz den ganzen Tag und das Empfinden des Tages verändert. Dabei denke ich an die vielen sogenannten ‚Schmerzpatienten‘, die ich im Verlauf der Jahre im Spital angetroffen habe. Ihr Schicksal, jeden Tag und jede Stunde von Schmerzen begleitet und geplagt zu werden, ist ein sehr schwieriges Schicksal.
Auf dem Weg stehe ich immer wieder mal still um die Stille aufzunehmen. Kein Ton ist zu hören, kein Vogel, kein Auto, kein Flugzeug, einfach Stille. Bis dann ganz in der Nähe ein Schuss fällt. Und noch einer. Die Jagd ist im Gange. Was da wohl gejagt wird? Ich sehe niemanden, höre aber von weitem ein paar Stimmen und dann nochmals eine Serie von Schüssen. Ich bin froh, dass der Weg durch offendes Gelände führt und ich nicht versehentlich als ‚Tier‘ wahrgenommen werden könnte…
Das Tagesziel heisst Montarnaud. Ich betrete das Dorf. Da ist es ebenso still wie vorher über Land. Kein Mensch ist zu sehen, die Kirche geschlossen. Dann sitzt ein Mann vor seinem Haus auf der Treppe. Ich frage ihn nach der Gîte. Er hat keine Ahnung. So gehe ich weiter. Da gibt es erste Hinweisschilder auf die Gîte mit dem gut klingenden Namen ‚Le temps d’une pause‘ – die Zeit für eine Pause.
Ich hatte davor zur Gîte telefoniert, ob es Platz hat. So betrat ich den Hof des Hauses mit Empfangsgebell des Hundes. Eine Frau trat aus dem Haus, leicht hektisch. Ob ich warten könne, sie müsse noch zur Nachbarin fahren. Da ich ordentlich Durst habe, bitte ich sie um Wasser. Das bringt sie umgehend und die Literflasche ist relativ bald leer getrunken. Auf einem Stuhl erwarte ich die Rückkehr der Dame.
Sie ordnet dann mit einem energisch ausgesprochenen Satz an, dass mein Rucksack auf keinen Fall in das Zimmer genommen werden dürfe. Ich frage, ob dies wegen Bettwanzen sei. Ja, davor habe sie grosse Angst. So nehme ich meine Sachen aus dem Rucksack und lege sie in das Zimmer, das mir zugewiesen wurde. Der Rucksack kommt in den Keller, der leicht nach Heizöl riecht. In der Stube sitzt Mako, der japanische Pilger. Ein frohes Wiedersehen. Er hat ein Zimmer mit zwei Einzelbetten bekommen wie ich auch. Wir haben jedes Mal Glück. Am Tag zuvor sei das Haus ganz voll gewesen.
Zur Gîte gehört ein Swimming-Pool. ich lasse es mir nicht nehmen, darin zu schwimmen. Das Wasser ist kühl aber sehr angenehm nach dem doch recht heissen Tag um die 30 Grad.
In jüngerer Mann betritt das Haus. Ich frage, ob er der Sohn der Madame sei. Nein, nein, das sei seine Freundin. Mir ist es peinlich und ich weiss zuwenig französisch, um diese Peinlichkeit etwas zu entschärfen. Aber vielleicht war ich nicht der erste mit dieser Frage. So oder so: in der Küche wurde eifrig gekocht und es duftete vielversprechend. Es kam der Moment, wo wir zu Tisch gebeten wurden. Zwischenzeitlich traf ein Paar in der Gîte ein, das sich für ein langes Wochenende hier aufhielt. Sie arbeiten mit Pferden und Kühen. Sie üben die Techniken aus, die im Wilden Westen von Cowboys ausgeführt werden. Ich kann mir das gut vorstellen, denn vor dem Dorf führte der Weg über lange Zeit an lauter Pferdeställen und Wiesen vorbei.
Das Essen schmeckte fein. Gegen Schluss des Essens traf noch ein Paar ein, das ein Zimmer zugewiesen bekam. Die Gîte ist sowohl für ‚Hotelgäste‘ wie für Pilger eingerichtet. Nach einem kleinen Spaziergang zum nahen Weinberg war bald Zeit zum Schlafen.